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kreuzer-online über Hypertonie / Ausstellung Arsenal


Leipzigs Galeristen setzen nach wie vor primär auf malerische Positionen

Drei Mal im Jahr laden die Kunsträume und Künstler auf dem Spinnereigelände im Leipziger Westen zum Rundgang. Am Wochenende lockte der Herbstrundgang bei Sommerwetter mit einer wie gewohnt kaum zu bewältigenden Zahl an Ausstellungen. Da bietet es sich an, auch mal am Hintereingang zu starten – oder auf dem Nachbargelände.

»0, 7, 13, 18, 25, 27 …« Die gestanzten Zahlen verschwinden so schnell, wie sie erscheinen, liefern einen technoiden Rhythmus, offenbaren jedoch kein System. Unregelmäßig schnellen sie vor und – nach einer Bildstörung, einem dumpfen Knall – zurück. Hämmern, Pochen, Raserei. Keine zwei Minuten dauert das Video im Projektraum Intershop Interdisciplinaire im eher wenig besuchten Südzipfel des Spinnereigeländes. »Hypertonie« hat Marta Dura, Meisterschülerin von Carsten Nicolai, das Werk betitelt: Überspannung, Bluthochdruck. Es ist Teil der sehr geglückten Ausstellung »Arsenal/ Masterclass Projekt«. Angesiedelt irgendwo zwischen Experimentalfilm der 1920er Jahre und schroffem Rave, anspielend womöglich auf Reizüberflutung und Suche nach Sinnhaftigkeit, ist es die wohl eindringlichste Arbeit des Herbstrundgangs 2018, der ansonsten pulsfreundlich unspektakulär verlief.

An Kathrin Heichels Einzelausstellung »Heim. Ich gehe jetzt« in der Galerie Josef Filipp lässt sich ein Merkmal Neuer Leipziger Schule gut ablesen: Zum Sujet erhoben verwandeln sich banale Objekte – ausgedörrte Pflanzen, Leitern, Hochsitz, Terrassenstuhl, rot-weißes Flatterband – in faszinierende Malerei. In Malerei, die sich selbst genügt. So wie dem ungenannt in der Ausstellung zitierten Blixa Bargeld vermutlich weniger die Wortbedeutungen interessierten als vielmehr die Bedeutungsverschiebungen, die sich ergebenden Möglichkeiten, das Weiter.


Bei Neo-Rauch-Schülerin Corinne von Lebusa in der Galerie Kleindienst verschwimmen die Werkgrenzen, sie erstellt Tableaus aus Malerei und Collagen, erzeugt mit Text- und Bild-Anhäufungen intime Mikrokosmen, mal überkommene weibliche Rollenbilder aufgreifend, mal Leinwand quasi als Poesiealbum gebrauchend, in schiefer Schreibschrift: »Du lässt mich wie ich bin und so wie ich bin lasse ich Dich«. Ein testoteronlastiger Konterpart findet sich im Laden für Nichts schräg gegenüber: In wilder, ironiegetränkter Malerei präsentiert der Berliner Moritz Schleime neben Cowboy- und Rockertypen splatterartige Atelieransichten.

Abgeklärter geht es bei ASPN zu, dort teilen sich Jochen Plogsties und Benedikt Leonhardt die lichten Galeriewände. Die diesmal kompakten Formate Plogsties spüren wie gewohnt mit Kreisen und Linien dem Aufbau alter Werke nach, Leonhardt bleibt abstrakten, flimmernden Farb- und Lichtspielen treu, die ihm betörend auratisch gelingen.

Hervorragend nach Leipzig passt Cyril Massimellis figürliche Malerei in der Galerie The Grass is Greener. Zwar hat er in Paris studiert, seine Praxis jedoch, realistische Bilder von innen heraus ohne Modell zu erschaffen, entspricht der Lehre der Leipziger Schule. Nur findet sich bei Massimelli anstelle schwer erträglicher, monotoner Heimatverbundenheit etwa eines Neo Rauchs eine ortlose Clubkultur – samt leuchtendem Globus auf dem Bartisch. Eine Wohltat ist auch die überbordende Zeichenwut von Carsten Fock in der Galerie Hempel, kulminierend gewissermaßen in einem krakeligen »German Angst«-Textbild.


Beklagenswert ist, dass Fotografie umso weniger eine Rolle in Leipzigs Galerien zu spielen scheint, je länger Timm Rauterts Emeritierung an der Hochschule für Grafik und Buchkunst zurückliegt. Wer eine solide fotografische Position sucht, muss das Spinnereigelände verlassen. Sie findet sich dank des Londoner Galeristen Marcus Ritter auf dem Nachbargelände. Mit einer Edgar-Leciejewski-Ausstellung hat Ritter bei Kirow zum Herbstrundgang schräg unter der Niemeyer-Sphere eine Dependance eröffnet. Leciejewski hatte Anfang des Jahres ein Stipendium in Leipzigs Partnerstadt Houston und verbrachte dort offensichtlich viel Zeit im schrägsten Club der Stadt, dem »Notsuoh«, in einem Gebäude, an dem die Leuchtschrift »The Home of Easy Credit« prangt und hinter dessen trister Fassade die schrägsten Gestalten der Stadt zusammen kommen. Eigentümer Jim Pirtle zählt selbst zweifellos dazu und reiste im Performer-Outfit geschminkt, mit weißer Perücke, zur Vernissage an, seine Streifzüge durch die Stadt dürften nicht gänzlich unbemerkt geblieben sein. Leciejewski, der sonst konzeptionell arbeitet, legt in 60 Bildern eine neongetränkte Reportage des Hauses und seiner Nutzer vor.

In den Raum, den die Spinnerei Gastgalerien zur Verfügung stellt und den zuletzt eben jener Marcus Ritter bespielte, zog derweil die Anca Poterasu Galerie aus Bukarest ein. Sie präsentiert eine Arbeit von Olivia Mihălțianu: »Tailler la robe selon le drap / Cutting The Coat According To The Cloth«. Dem Anschein nach experimentelle Mode, geschneidert aus 35mm-Filmstreifen alter Hollywoodtrailer, eine mehrdeutige Rauminstallation. Noch deutlich weiter in den Grenzbereich zwischen Kunst und Design wagt sich der nichtkommerzielle Kunstraum Halle 14. Die Ausstellung »Neue urbane Produktion« dort spürt der Wiederbelebung lokalen Gewerbes nach, das sich bewusst in Opposition zu international agierenden Konzernen aufstellt. Am Eröffnungswochenende fertigte Leon Kurcharski in Handarbeit Sneakers – ein Produkt, das wie kaum ein zweites für globale, unfaire Zusammenhänge und billige Massenproduktion steht – als Unikate für Ausstellungsbesucher an. Stefanie Rittler wiederum hat eine mobile Fertigungsanlage entwickelt, die in einem Upcyclingprozess das Wegwerfprodukt Plastiktüte in ein wertgeschätztes Unikat verwandelt. Am radikalsten fällt der utopische Beitrag »Cow & Co« von Ottonie von Roeder und Anastasia Eggers aus. Es geht um eine Kuhherde – »Business Girls« – die ihre Vermarktung mittels Smartphone-App und Melkrobotor in die eigenen Klauen nimmt. Ein Beitrag dazu, wie weit fairer Handel gehen kann – oder muss?


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